Schloss Sychrov
09.06.2001 22:39
In jungen Jahren fuhr ich einmal mit meinem Onkel mit der Eisenbahn nach Sychrov, wo eine Schwester seiner Mutter in der Küche des Schlosses arbeitete. Meine Erinnerungen sind recht bescheiden. Da ist das Anblick des Schlosses, den man, kurz bevor man den kleinen Bahnhof erreicht, vom Zug aus für einige Augenblicke hat, und die große Küche mit emsig schaffenden Bediensteten. Diesen Anblick vom Zug aus habe ich später immer wieder gesucht, wenn ich mit dem Zuge dort vorbei fuhr. Als ich in Münchengrätz zur Schule ging und in den Weihnachtsferien heimfuhr, da lauerte ich schon auf den Augenblick, der den Blick zum Schlosse freigab. Und so war es auch später immer. Es war noch in den 80er Jahren, als ich das erste Mal wieder nach rund 50 Jahren von Prag kommend mit der Bahn diese Strecke befuhr .Die Bahn fährt dort durch einen romantischen Abschnitt mit tief eingeschnittenen Tälern, deren Hänge mit dunklen Fichten bewachsen sind. Ich war nach so vielen Jahren überrascht, wie kurvenreich und steil ansteigend die Strecke war. An den Fichten hingen viele Zapfen und die Wiesen unten im Tale waren wie im Märchen. Nur noch wenige Kilometer waren es bis nach Liebenau und dann ging es noch einmal durch Felseinschnitte und Wald, dem Tschihadel, nach Reichenau. Seit ich das Schloß in Sychrov gesehen hatte, begann mein Herz zu klopfen und schmerzlich empfand ich, daß ich nun durch meine verlorene Heimat fuhr , die aber ihren festen Platz für immer in meinem Herzen hat. Sychrov, das war sozusagen das Tor in die nähere Heimat, ich empfand es wenigstens so. Später bin ich noch oft nach Sychrov gekommen, wenn ich die alte Heimat besuchte.
Irrtümlich war ich damals auch einmal in jenen Talesgrund gekommen, den ich von Zuge aus gesehen hatte. Zwei oder drei Häuser lagen in dieser Einschicht, die Ruhe und Frieden ausstrahlte. Über eine schmale, steile Straße gelangte ich dann doch auf die Allee, die zum Schlosse führt. Es war noch zeitig früh als ich mein Auto auf dem großen Parkplatz vor dem Tore des Schlosses abstellte. Ich war schon auf dem Wege in den Schloßhof, als plötzlich ein Parkwachter auftauchte und Gebühren verlangte. Es handelte sich um einen älteren Mann, der wohl gleich gemerkt hatte, daß wir aus Deutschland kamen, denn er sprach uns sofort fast akzentfrei deutsch an. Ich kam mit ihm ins Gespräch und er zeigte sich sehr interessiert woher wir kamen. Ich sagte ihm, daß wir beide aus Reichenau stammen und unsere Heimat besuchen. Er stellte sich mit seinem Namen vor, er hieß Nejedlo, und erzählte, daß er Reichenau gut kenne, denn er habe durch Jahre in der Druckerei Petrak gearbeitet, auch damals, als der Herr Petrak seinen Spravce und dann sich selbst erschoß. Täglich sei er mit dem Zuge zur Arbeit gefahren. Diesen Herrn Nejedlo haben wir dann durch Jahre immer wieder auf dem Parkplatz angetroffen, wenn wir nach Sychrov kamen. Er hat uns dann immer freudig begrüßt bis sein Nachfolger den Parkplatz behütete.
Durch meine Beschäftigung mit den Reichenauer kirchlichen Memorabilienbüchern, war mir die Bedeutung Sychrovs für Reichenau bewußt geworden. Durch Jahrhunderte hatte Sychrov das Patronat über unseren Heimatort und lenkte seine Geschicke. Ich wußte aus den Büchern, daß der Verwalter einmal Göbl hieß und mir war bekannt, daß dieser mit dem Komponisten Dvorak eng befreundet war. Aufdem Turnauer Friedhof haben wir auch sein Grab gefunden. Es war deshalb ein "Muß", das Schloß zu Besuchen. Ich stellte mir vor, wie die Reichenauer Geistlichkeit hierher gelaufen oder mit einer Kutsche gefahren ist um ihre Bitten vorzutragen oder Bericht zu erstatten. Das Schloß füllte sich in meinen Gedanken mit Leben und die Vergangenheit lief wie ein Film vor mir ab. So weit meine persönlichen Beziehungen zu Sychrov.
Vom Parkplatz gelangt man auf einen großen Vorplatz, der von einer Mauer und Gittern abgeschirmt ist, wie die ganze Schloßanlage. Ein zierlicher Brunnen mit einer kleinen Kuppel steht inmitten des Platzes Ein dicker Turm mit einem imitierten Wehrgang, eine protzige Fassade mit langer Fensterreihe, läßt ein altes Schloß vermuten. Aber weder von der alten Festung, die im Dreißigjahrigen Kriege zerstört wurde, noch vom späteren Barockschloß, das ein Nachkomme Wallenlsteins erwarb, ist noch etwas zu sehen. Selbst
der Umbau, den der, der französischen Revolution entflohene Fürst Alain Rohan vornahm, nachdem er es 1820 erworben hatte, ist verschwunden. Das heutige Schloß wurde erst durch seinen Sohn Kamill Rohan zwischen 1847 und 1862 in dem damals modischen romantisierenden Stil der Neugotik errichtet, wobei er auch Anleihen aus dem Stammschloß der Rohans in der Bretagne einfügen ließ.
Leider sind die Schloßführungen, an denen wir teilnahmen, nur in tschechischer Sprache durchgeführt worden, so daß die Informationen nur lückenhaft waren. Das Auge aber bekommt eine Fülle von Eindrücken mit. Besonders erwähnenswert ist die wertvolle Bildergalerie, dann die kostbaren Möbel, Teppiche, Gobelins, Glas und Porzellan. Daß die Rohans reichlich Geld hatten, sieht man allenthalben an der kostbaren Ausstattung der Räume. Zahlreiche bewundernswerte Holzschnitzarbeiten der Prager Meister Peter und Sohn Dominik Bušek schmücken das Interieur. Diese Bušek tauchen auch in den Reichenauer Memorabilienbüchern auf, weil sie auch an der Ausschmückung der hiesigen Kirche beteiligt waren. Die völlig aus Holz gestaltete Schloßbibliothek und vor allem der Festsaal mit seiner kunstvollen Kassettendecke sind hervorragende Meisterwerke Bušeks.
Gegen Ende der Führung tritt man in ein Zimmer, in denen Bilder, Briefe und Noten Dvoraks und das Klavier Göbls zu sehen sind. Dvorak selbst hat das Schloß jedoch nie betreten, er war stets nur Gast in der Wohnung Göbls im Verwaltungsgebäude, an dem nun eine Gedenktafel für den Komponisten angebracht ist.
An der dem Eingang abgewandten Seite des Schlosses befindet sich eine große Parkanlage, die mit heute mächtigen Bäumen aller Art bepflanzt ist, darunter viele botanische Raritäten.
Ein seitlicher Anbau mit der Schloßschänke ist heute Anziehungspunkt für die zahlreichen Besucher, die mit Bussen und Pkw. anreisen. Die Gastronomie wird gelobt und das Essen hebt sich aus dem hierzulande sonst Angebotenen vorteilhaft ab. Kein Wunder, daß hier auch viele Brautpaare mit ihren Angehörigen zum Hochzeitsmahl herkommen. Ein Besuch des Schlosses Sychrov ist demnach auf alle Fälle empfehlenswert.